Interview mit MICE-Krisenmanagerin Steff Berger

Wir haben uns gefragt, wie wir die MICE-Branche in Zeiten der Corona-Krise unterstützen können und haben dabei direkt an MICE-Krisenmanagerin Steff Berger von „Vobe – Inspires People GmbH“ gedacht. Sie hat uns im Interview Fragen rund ums MICE-Krisenmanagement beantwortet, über die Chancen und Risiken der Krise aufgeklärt und wertvolle Tipps für die Zeit während und nach Covid-19 verraten.

Was ist MICE-Krisenmanagement?

Das MICE-Krisenmanagement ist ein Konzept, welches wir in den letzten Jahren gemeinsam mit Experten entwickelt haben. Es ist eine Kombination aus unseren 19 Jahren Erfahrung mit Kongressen bis zu 20.000 Teilnehmern in Deutschland und im europäischen Ausland sowie dem klassischen Krisenmanagement. Im MICE-Bereich liegt der Fokus auf ressourcenorientiertem Krisenmanagement. Viele Veranstaltungsorganisationen bestehen aus kleineren Teams. Während der Veranstaltung hat jeder Mitarbeiter eine Funktion, eine Rolle zu übernehmen. Wir können uns gar nicht leisten, dass irgendetwas Unvorhergesehenes passiert. Und wenn etwas Unvorhergesehenes passiert, dann stellt sich die Frage, wie wir überhaupt – ohne Ressourcen – eine neue Rolle einnehmen können. Das ist der Unterschied zum klassischen Krisenmanagement, in dem es zuerst einmal ausreichende Ressourcen und meistens eine in sich geschlossene Organisation mit internen und externen Stakeholdern gibt. Bei einer Veranstaltung sieht das allerdings anders aus – hier gibt es verschiedene Stakeholder mit verschieden Interessen aus unterschiedlichen Organisationen. Zu diesen Interessengruppen gehören zum Beispiel der Veranstaltungsort, der Veranstalter, die Partner und die Dienstleister. Das Konzept MICE-Krisenmanagement beinhaltet, dass alle Partner ein Krisenteam bilden, um kritische Situationen, Zwischenfälle und Krisen gemeinsam zu meistern. Das bedeutet, wir füllen nicht vorhandene Ressourcen aus verschiedenen Teams auf. So können ad-hoc-Störfälle vor und während der Veranstaltung behandelt werden.

Wie bist du darauf gekommen Krisenmanagerin zu werden?

Kurz gesagt: Eyjafjallajökull. Der isländische Vulkan, der uns 2010 alle in Atem gehalten hat. Zu diesem Zeitpunkt war ich auf einem Kongress mit 10.000 Teilnehmern in Wien. Diese Ohnmacht, gestrandeten Teilnehmern nicht helfen zu können, war eine schreckliche Erfahrung. Es hat aber noch weitere 6,5 Jahre gedauert (gefüllt mit vielen Lernerfahrungen und Ereignissen), bis ich dann die geeignete Ausbildung für mich gefunden habe. Seit 2017 bin ich zertifizierte Krisenmanagerin und habe zusätzliche Kurse zum Thema Anti-Terror Strategien belegt. Krisenmanagement ist vor allem für große Unternehmen angelegt und funktioniert besonders gut in einer geschlossenen Organisation, jedoch nicht unbedingt für die MICE Branche, in der wir meistens über weniger Mitarbeiter – Ressourcen verfügen und zudem eher über ein Inzident Management sprechen. Ich habe die letzten Jahre mit Experten und im Austausch mit Krisenmanager-Kollegen ein maßgeschneidertes Konzept entwickelt, das unserer Branche hilft, sich besser auf kritische Situationen und Störfälle vorzubereiten.

Seitdem ich Krisenmanagerin bin, gehe ich viel entspannter mit kritischen Situationen um, denn ich bin darauf getrimmt sofort in den lösungsorientierten Modus zu schalten.
Seit letztem Jahr teile ich mein Wissen in Seminaren, Workshops und jetzt aktuell auch in Zeiten von COVID-19 in Webinaren. Zeitgleich zu meiner Ausbildung zur Krisenmanagerin habe ich auch Ausbildungen zum systemischen Coach und Trainer absolviert. Die Kombination aus systemischem Training, Event- und Konferenzerfahrung sowie Krisenmanagement ist ein sehr gutes Konzept und ich freue mich vor allem auf die Zeit nach COVID-19, in der analoge Trainings wieder möglich sind. Ich möchte Veranstalter, Locations und Agenturen ‚Krisen Ready‘ machen.

Welche Tipps hast du für Unternehmen, um bestmöglich durch die Krise zu kommen und für die Zeit nach Covid 19?

Wenn wir von Veranstaltungen reden, dann ist es sicherlich ratsam, sich auf folgende drei Szenarien vorzubereiten: Durchführung, Verschieben oder Absagen. Für jede dieser drei Szenarien, sollte eine Risikoanalyse erstellt werden und die dazugehörigen Maßnahmen inklusive einer Kommunikationsstrategie entwickelt werden. Krisenkommunikation ist eines der wichtigsten Mittel in der Krise – über Kommunikation läuft einfach alles! Unsere Mitarbeiter, Teilnehmer, Referenten, Aussteller, Dienstleister und Partner wollen informiert werden. In der heutigen Zeit können wir uns Kommunikation ohne Soziale Medien gar nicht mehr vorstellen. Daher ist es sehr wichtig, diese medialen Instrumente für unsere Informationsstrategie zu nutzen. Gleichzeitig sollten wir die Reaktionen auf unsere Botschaften, bzw. auf unsere Veranstaltungen ständig im Auge behalten. Soziale Medien können sowohl Fehlinformationen als auch schmerzhafte Wahrheiten verbreiten – Reaktionen sind in wenigen Minuten online. Dies ist definitiv eines der größten Risiken in der Kommunikation heute.

Auch für die Zeit nach COVID-19 und der Pandemie wird es sicherlich eine längere Übergangsphase in eine neue Normalität geben mit eventuellen Rückschlägen, die wieder striktere Maßnahmen, wie beispielsweise einen eventuell erneuten Lockdown erfordern. Krisenmanagement bedeutet, einen Krisenfall schnell zu analysieren, zu reagieren und effektiv Entscheidungen zu treffen. Das heißt auch, so schnell wie möglich wieder den ‚Normalbetrieb‘ weiterführen zu können. Daher ist es ratsam, sich jetzt auf die Zeit nach Covid-19 vorzubereiten. Sollte dann eine der drei Szenarien eintreten, bzw. auch ein Szenario was nicht vorbereitet worden ist, können Veranstalter-Teams schneller reagieren und so wie wir im Krisenmanagement sagen: ‚Vor die Lage kommen!‘. Ohne geeignete Strukturen im Krisenmanagement ist das in der heutigen Zeit kaum möglich.

Wie sollte man bei der internen und externen Kommunikation am besten vorgehen? Auf was sollte man besonders achten?

Krisenmanagement, insbesondere in der Kommunikation ist wahr, eindeutig, lagegemäß, transparent und faktenbasiert. Und das ist auch meine Empfehlung. Krisen sind dynamisch und wir haben nicht das Wissen, was als nächstes passiert. Daher können wir nur den aktuellen Stand, die Fakten zum jetzigen Zeitpunkt mit in unser Krisenmanagement einbinden und Entscheidungen treffen, die zu dem jetzigen Zeitpunkt sinnvoll erscheinen. Um zu definieren, wer zum internen und externen Kommunikationsverteiler gehört, ist es ganz wichtig eine Stakeholder Analyse zu erstellen.

Für die Veranstaltungsbranche würde ich mit erweiterten internen Kategorien arbeiten:

Intern
Mitarbeiter (haben immer Vorrang vor allen anderen)

Intern – 2
Location, und Partner
Aussteller
Referenten
Externe Dienstleister

Extern
Teilnehmer, Medien, etc.

Bei allen internen Stakeholdern ist eine persönliche Ansprache sinnvoll. Wenn nicht richtig kommuniziert wird bzw. etwas nicht zur Zufriedenheit der Stakeholder abläuft, dann kommt Unsicherheit oder Missmut auf, die in Form von direkten und indirekten Fragen auch über Social Media an die MitarbeiterInnen gestellt werden. Dafür braucht es eine Strategie, die festlegt, wer informieren darf, wie Informationen gefiltert werden und woher interne Stakeholder und TeilnehmerInnen Informationen erhalten. Da geht es dann auf einmal um geballte Emotionen, die wir persönlich eventuell vor Ort wie auch medial einfangen müssen.

Wo siehst du die größten Probleme und Chancen für die MICE-Branche?

Wenn ich diese Frage auf das MICE-Krisenmanagement beziehe, dann ist das größte Problem, dass viele Events und Konferenzen noch kein MICE-Krisenmanagement etabliert haben. Daher sehe ich es als große Chance an, sich mit dem Thema Krisenmanagement für die MICE-Branche auseinanderzusetzen und ein geeignetes Krisenmanagement in jede Veranstaltungsplanung mit einzubeziehen. Krisen sind dynamisch und können sich leider blitzschnell in alle Richtungen entwickeln. Und mit COVID-19 hat sich das Thema Krisenmanagement zu einem brandaktuellen Thema entwickelt. COVID-19 hat alle gezwungen, sich mit verschieden Szenarien auseinanderzusetzen: Absage, Durchführung oder Verschiebung einer Veranstaltung, sowie den daraus resultierenden wirtschaftlichen Schäden. Krisenmanagement wird auch zukünftig sicherlich kein beliebtes Thema sein. Aber zumindest ist ein Bewusstsein geschaffen, dass es positive Auswirkungen auf kritische Situationen und Krisen haben kann. MICE-Krisenmanagement ist jetzt nicht mehr aus der Branche wegzudenken. Wir werden grundsätzlich nach dieser Corona-Krise in der MICE-Branche mit Krisen anders umgehen und präventive Maßnahmen in unseren Veranstaltungskonzepten ergreifen müssen.

Wie schätzt du die Hilfen der Regierung ein? Kommt Hilfe an?

Ob die Hilfen der Regierung ankommen, kann ich so pauschal nicht beantworten. Momentan befinden wir uns noch mitten in der Pandemie und es aktuell noch keine aussagekräftigen Daten gibt, wann wir wieder Veranstaltungen im In- und Ausland planen können. Unsere Branche ist schwer getroffen und realistisch ist das erste Halbjahr nicht wieder aufzuholen. Zudem sind wir von vielen äußerlichen Faktoren abhängig: Wann werden die Grenzen geöffnet? Wann sind Teilnehmer, Mitarbeiter und Aussteller wieder bereit zu fliegen, zu reisen? Wann können alle Veranstaltungsorte wieder als solche auch genutzt werden? Das ein oder andere Messegelände oder Kongresszentrum wird momentan als Krankenhaus oder als eine andere Institution genutzt. Können die Hygienevorschriften für Großveranstaltungen realisiert werden? Fragen über Fragen…

Ich hoffe, dass die Regierung noch weitere Hilfen für unsere Branche stellen wird und wir ganz bald wieder analoge Veranstaltungen durchführen können.

Expertin: Steff Berger ist Beraterin in der Konferenz- und Veranstaltungsbranche. Zudem ist sie BCM-zertifizierte Krisenmanagerin. Ihr Spezialgebiet ist Krisenmanagement für den MICE-Sektor. Ihre Firma „Vobe – Inspires People GmbH“ steht seit der Gründung im Jahr 2010 Konferenzverbänden bei der Logistik und Organisation von Veranstaltungen mit bis zu 20.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern in ganz Europa unterstützend und beratend zur Seite. Steff Berger verfügt über mehr als 19 Jahre Erfahrung in der Konferenz- und Eventbranche, spricht regelmäßig auf Veranstaltungen weltweit und hält Workshops, Webinare und Seminare.

www.vobe-inspires-people.com