Christoph Küppers: Hochschulvorlesungen & Events – mehr Gemeinsamkeiten als man denkt

Was denken Sie, welche Headlines und Schlagworte derzeit in allen Mediatheken ganz weit oben sind? Welches ist aktuell wohl die häufigste Suchanfrage bei Google? Und über welche Themen unterhielte man sich bei einem Bier in der Bar – sofern noch eine offen hätte? Ich kann Ihnen versprechen, dass es weder das Thema Event noch das Thema Hochschulvorlesung ist. Und erst recht nicht beide Begriffe in einem Satz. Und trotzdem sollte man einmal genauer hinschauen.

Malcolm&Judy
Foto: Malcolm&Judy

Nicht nur bei Dienstleistern und Agenturen stehen die Betriebe still, nehmen Mitarbeiter unfreiwillig Urlaub und bauen schon längst vergessene Überstunden ab. In den letzten Tagen habe ich mit vielen Menschen telefoniert. Kunden, Partnern, Dienstleistern. Sehr überrascht hat mich dabei eine Gemeinsamkeit, die alle Telefonate mit sich brachten: die Gespräche waren lang, entspannt und wurden nicht plötzlich mit einem „ich muss in einen Termin bzw. Call“ abgebrochen. Unter normalen Umständen würde ich mich für meine Kunden freuen, dass die Arbeit so viel Freiraum für Austausch und Smalltalk lässt. In Realität gibt es dafür aber leider ganz andere Gründe: abgesagte Events, keine Neuplanungen, keine wirklich fundierte Prognose für die Zukunft.

Doch glücklicherweise gibt es auch noch die Gesprächspartner, die keine Zeit für Telefonate haben. Hier werden die Telefonate kurzgehalten, meist mit Sätzen wie: „Sorry – ich muss noch den letzten Content für die Digitalität aufbereiten und danach zusehen, dass die IT die notwendigen Rechte freischaltet“ (Kunde) bzw. „Sorry – wir erhöhen gerade die Bandbreite beim Kunden, richten ein Mini-Fernsehstudio ein und müssen die Interaktivität der Virtual Rooms checken“ (Agentur & Dienstleister). Warum man sich dafür bei mir entschuldigt? Keine Ahnung – ist doch klasse, wenn man noch etwas zu tun hat.

Warum ich all das erzähle? Als Einleitung für eines meiner langjährigen Lieblingsthemen: die „Digitalevents“. Diese sind seit etwa drei Wochen wieder auf Platz 1 des Event-Bingos. Man muss zugeben, dass diese Form einer Veranstaltung die derzeit wohl einzig mögliche und wohl auch effizienteste Variante des Zusammentreffens vieler Menschen ist. Vermehrt erlebt in den letzten Tagen aber wieder die lobpreisende Prophezeiung der „Zukunft von Events & Messen“ ein echtes Revival. Unternehmen, die bis gestern noch echtes Erleben und echte Emotionen durch echtes Aufeinandertreffen von echten Menschen gelobpreist und versprochen haben, schreiben nun hektische Newsletter mit reißerischen Überschriften á la „Buchen Sie jetzt bei uns Ihr Online-Event.“  Zeit für einen persönlichen Eindruck. Veranschaulicht durch ein branchenfremdes, aber dafür echtes Erlebnis.

Foto: pixabay

Ich habe seit einigen Jahren das Vergnügen, als Dozent an verschiedenen Hochschulen in NRW tätig zu sein – überwiegend für das Thema Live Kommunikation. Vor zehn Tagen ereilte nun auch uns die Nachricht, dass der Präsenzlehrbetrieb bis auf Weiteres eingestellt wird. Und das nur eine Woche nach Semesterstart – wer einmal als Dozent tätig war, weiß, dass diese Zeit die schönste des Semesters ist. Die Studenten sind noch heiß auf die Inhalte, top erholt aus den Semesterferien und die Anwesenheitsquote ist nahe der 100%. Diese Zeit will, nein, muss genutzt werden. Also richteten meine Kollegen und ich kurzerhand Virtual Classrooms ein und halten unsere Vorlesungen seitdem per Videokonferenz. Eine gangbare Möglichkeit, leider mit einigen Schwächen:

  • Die Aufmerksamkeit der Studenten ist zwar vorhanden, weist aber eine direkte Abhängigkeit mit dem Bequemlichkeitsfaktor der Couch auf – zumeist eine negative. Ich vermute einfach, dass der Körper bei zu weichem Untergrund in eine Art evolutionär erlernte Teilentspannung verfällt, die dann auch unweigerlich auf die Hirnregionen überspringt, die der Aufmerksamkeit dienen.
  • Halten Studenten im Live-Umfeld bei spannenden Inhalten und geschickt gewählter Tageszeit auch gerne mal 180 Minuten durch, sinkt diese Zeit bei Onlinevorlesungen leider massiv. Länger als 45 Minuten ist kaum drin, bevor vehement eine Pause eingefordert wird.
  • Ebenfalls fällt auf, dass etwa 50% der Teilnehmer „Probleme mit der Kamera“ haben. Ein Schelm, wer dabei Böses denkt. Spricht man die Teilnehmer per Mikrofon gezielt an, bekommt man keine Antwort. Schickt man daraufhin eine Textnachricht, erhält man fünf bis 50 Minuten später die Antwort, dass es anscheinend auch Probleme mit dem Mikrofon geben würde, man hätte doch sofort auf die Fragen geantwortet. Sicherlich wissen Sie, worauf ich hinaus möchte.
  • Als Dozent bewegt man sich in einem Spannungsfeld zwischen Lehrer (Information) und Alleinunterhalter (Entertainment). Diesem Auftrag wollte ich auch per Kamera und Mikrofon nachkommen und bin krachend gescheitert. Das nette Anstandslächeln einer Studentin nach einem vollkommen missglückten Witz meinerseits verbuche ich unter dem guten Elternhaus.
  • Häufig hört man von der Anonymität des Internets und dass Personen im Schutz eben dieser plötzlich extrovertiert und überdurchschnittlich kommunikativ werden. Dieses Phänomen kann ich bei Onlinevorlesungen leider nicht erkennen.

Zum besseren Verständnis möchte ich noch darlegen, dass Vorlesungen mehr mit Events gemeinsam haben, als man im ersten Augenblick vermuten würde:

  • neues Wissen soll multisensual vermittelt werden
  • es werden verschiedene Medien zur Unterstützung genutzt
  • es kommt maßgeblich auf den Infotainment-Faktor an
  • die Zielgruppe ist eng begrenzt und namentlich bekannt, so dass man sich auf die Wünsche einstellen kann
  • die Vorlesung folgt einer klaren Dramaturgie und Inszenierung
  • Rückmeldungen über die subjektive Qualität der (Lehr-)Veranstaltung kommen unmittelbar, ungefiltert und unmissverständlich.
Foto: pixabay

Basierend auf diesen Erkenntnissen wage ich es nun, einige Rückschlüsse aus meinen Erfahrungen mit Onlinevorlesungen zu ziehen. Das digitale Zusammentreffen ist sicherlich gut geeignet, um Informationen an einen bestimmten Personenkreis zu vermitteln. Wie gut diese in den Köpfen der Zielgruppe ankommen, bleibt aber fraglich. Ein direktes und ungefiltertes Feedback des Auditoriums bleibt komplett aus, eine Just-in-time-Justierung des Präsentators wird somit unmöglich. Ebenso bin ich sicher, dass die Möglichkeit einer echten Emotionalisierung via Bits & Bytes äußerst gering ist. Bilder, egal ob 2D oder 3D, können einfach nicht das vermitteln, was ein physisch-reales Objekt vermittelt. Aufwendig produzierte Filme sehen auf einer Panorama-LED Wand einfach deutlich imposanter aus, als auf dem 24“ Bildschirm im Büro. Der Applaus am Ende einer Key-Note ist für so manchen Speaker sicherlich wichtiger als das vereinbarte Honorar – nur klingt ein Applaus per eingebautem Mikrofon leider nicht sonderlich imposant. Und die Vorstellung, dass ich als passiver Zuschauer plötzlich beginne, meinem Bildschirm zu applaudieren, finde ich irgendwie recht befremdlich.

Dank der Onlinevorlesungen und dem ungeschönten Feedback meiner Studenten (ob mit oder ohne Bild) möchte ich nun folgendes Resümee ziehen: die Digitalisierung von Events ist weder Allheilmittel, noch die kurz- oder mittelfristige Zukunft von Events und Messen. Für Formate, die überwiegend Wissen und Informationen vermitteln sollen, eignen sich die digitalen Kanäle sicherlich recht gut. Gleichzeitig können Ressourcen gespart und die Umwelt geschont werden.

Sobald aber Emotionen erzeugt werden sollen oder es sich um Produkte handelt, die man ohne First-Hand-Experience nur äußerst schwer versteht, stoßen die digitalen Kanäle ganz klar an ihre Grenzen. Wer kauft ein Auto, dass er nie live gesehen, gehört und gefahren hat?  Multisensualität und die persönliche Erfahrung sind nach wie vor unverzichtbare Faktoren für Emotionen und eine Kaufentscheidung. Echter Teamgeist kann nur entstehen, wenn Sympathien zwischen Individuen aufgebaut werden. Sympathien entstehen durch Emotionen. Und Emotionen entstehen durch gemeinsame Erlebnisse, die tief im Bewusstsein verankert werden. Leider funktioniert dies aber nicht, wenn man hunderte Kilometer voneinander entfernt am Bildschirm sitzt – oder vielleicht auch nur in das Digitalevent eingewählt ist.

In diesem Sinne: Bleiben Sie gesund, nutzen Sie – jetzt und in Zukunft – die Möglichkeiten der digitalisierten Veranstaltungen, aber vergessen Sie nicht, welche unersetzlichen Erinnerungen wir den Live-Events zu verdanken haben.

von Christoph Küppers, Geschäftsführung malcolm & judy GmbH