„Frauen sollten sich nicht als Konkurrenz betrachten. Wir sollten uns unterstützen!“

Beschreiben Sie uns Ihre jetzige Position und den Weg, der Sie dorthin geführt hat.

In meiner jetzigen Position bin ich als Kopilotin für die Air Mauritius tätig. Ich fliege vor allem nach Asien, aber auch nach Europa und Afrika. Der A330 bitet in der Sitzplatzkonfiguration der Air Mauritius Platz für 280 Passagiere. Meine Crew besteht normalerweise aus 10 bis 13 Crew- Mitgliedern, die meistens zu jedem Flug wechseln.

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Die gebürtige Dorstenerin Jutta Göttken fliegt seit einem Jahr bei Air Mauritius als Co-Pilotin. Foto: Krishna Huree/MauritiusVibrations

Seit 10 Jahren fliege ich beruflich Flugzeuge. Nach meiner Ausbildung zur Pilotin an der RWL German Flight Academy in Mönchengladbach und Vero Beach, Florida, habe ich zunächst als Kopilotin für die AvantiAir auf ,kleineren‘ (50 Passagiere) Turboprop-Flugzeugen angefangen.

Nach einem Jahr habe ich zur Lufthansa CityLine gewechselt, die mich auf dem Flugzeugtyp Bombardier CRJ 700/900 ausgebildet hat. Mit der Stationierung in München und einem ausgedehnten Streckennetz in ganz Europa habe ich mehr als 2.500 Flugstunden, nun auf diesem agilen Jet, sammeln können.

Aus wirtschaftlichen Gründen wurde mir nach beinahe fünf Jahren Tätigkeit für die Lufthansa CityLine angeboten, unbezahlten Urlaub zu nehmen und in diesem für die Turkish Airlines tätig zu werden. Dies war vermutlich einer der bedeutendsten Schritte in meiner Karriere, die mich zu meiner jetzigen Position geführt haben. Für die Turkish Airlines wurde ich nun auf dem Flugzeugtyp ausgebildet, den ich heute fliege: dem Airbus A330. Für die Turkish Airlines war ich nun auch das erste Mal weltweit tätig.

Nach Ablauf des unbezahlten Urlaubs kehrte ich zunächst zur Lufthansa City-Line und auf die ,Kurzstrecke‘ (europaweite Flüge) zurück. Nun war ich jedoch in der interessanten Position, dass ich mich durch meine fliegerische Erfahrung, gepaart mit einem weltweiten Pilotenmangel, für jegliche Firmen weltweit bewerben konnte. Ich nahm mir Zeit für Recherche und stieß auf die Air Mauritius, schrieb kurzerhand meine Bewerbung, wurde wenig später zum viertägigen Assessment Center eingeladen und konnte anscheinend überzeugen, sodass ich heute hier auf Mauritius arbeite und lebe.

Wo sehen Sie in puncto Erfolg die größten Hürden für Frauen?

Die größte Hürde für Frauen sehe ich im Zusammenbringen von Karriere und Familie und dem Zwiespalt, der sich hier ergibt und dem sich, denke ich, jede Frau persönlich stellen muss. Kann ich Karriere und Kinder vereinbaren? Wie lange kann ich in meinem Berufsfeld abwesend sein, in Teilzeit arbeiten und  trotzdem die gleichen Karrierechancen haben wie jemand, der die ganze Zeit ,anwesend‘ ist. In meiner Branche habe ich den ,Vorteil‘, dass in den meisten  größeren  Firmen die Aufstiegschancen zum Kapitän oder zu jeglichen Sonderfunktionen durch sogenannte Senioritätslisten ganz klar geregelt sind. Auf die Charaktereigenschaften, die ein Kapitän benötigt, wird schon in den Bewerbungsgesprächen für Kopiloten selektiert, sodass theoretisch jeder mit der ausreichenden fliegerischen Erfahrung die Voraussetzungen erfüllt.

Dieses System garantiert für jeden – ausreichende Qualifikation vorausgesetzt – die gleichen Aufstiegschancen. Und durch längere Abwesenheit, wie z.B. durch Schwangerschaft und Mutterschutz, bleibt die Seniorität bestehen, sodass keinerlei Nachteile entstehen. Die meisten größeren Fluggesellschaften bieten auch die Möglichkeit, nach dem Mutterschutz in Teilzeit anzufangen.

Ich denke, dass hier in anderen Branchen mehr Initiative gezeigt werden sollte, sodass Frauen durch ihre Familienplanung keine Nachteile entstehen.

Hatten Sie in Ihrer bisherigen Laufbahn mit Vorurteilen zu kämpfen?

,Warum ist der Himmel blau und nicht rosa?‘, ,Uns fliegt eine Frau!‘ (Oder  am  besten  gar  zwei  Frauen), ,aber Sie haben ja noch einen Mann neben sich‘ (mit Erleichterung) – Vorurteile gegenüber Frauen sind, denke ich, vor allem in technischen oder klassischen Männerberufen leider immer noch verbreitet, insbesondere bei den Leuten, die eigentlich nichts mit dem Beruf zu tun haben.

Von meinen männlichen Kollegen ist mir nie das Gefühl gegeben worden, dass ich als Frau weniger ernst genommen werde. Von Passagieren jedoch bekommt man schon das ein oder andere Mal eine Bemerkung mit, die in Richtung Vorurteil geht und die einem Mann gegenüber nicht gefallen wäre.

Jedoch muss ich sagen, dass die Mehrheit der Passagiere sehr positiv und befürwortend reagiert. Aber warum eigentlich muss man überhaupt reagieren?  Warum wird es als etwas Besonderes angesehen, wenn eine Frau als Pilot agiert? Wenn Frauen und Männer in den Köpfen der Menschen wirklich gleichgestellt wären, dürfte es eigentlich niemandem als bedeutend auffallen, dass eine Frau fliegt.

Wie würden Sie selbst Ihren Führungsstil beschreiben und was ist Ihnen dabei wichtig?

Mein Führungsstil? Das ist eine gute Frage … Ich denke, vor allem Integration. Das Wahrnehmen jedes einzelnen Mitgliedes meiner Crew und ein Bewusstsein dafür, was die Herausforderungen jedes Einzelnen sind. Des Weiteren ist mir sehr wichtig, dass jeder ernst genommen wird und nicht mit seinen Problemen, sei es mit Passagieren, Gesundheit oder privaten Faktoren, alleine gelassen wird.

Als Crew geht Führung oftmals über das Berufliche hinaus. Wir verbringen viel Zeit im Ausland/Hotels und es entstehen alle erdenklichen Situationen.

Als Vorgesetzte, denke ich, ist es wichtig, die Situation in die gewünschte Richtung zu lenken, ohne dass der/die betroffene Kollege oder Kollegin sich unter Druck gesetzt oder nicht verstanden fühlt. Es müssen Lösungen gefunden werden, die für die Firma und jeden Einzelnen vertretbar sind.

In der Luftfahrt gilt bei jeglicher Entscheidung immer, dass Sicherheit zu erst kommt, sei es die Sicherheit der Crew oder die der Passagiere.

Wer hat Sie auf Ihrem bisherigen Lebensweg inspiriert?

Inspiriert wurde ich in meiner Laufbahn vor allem durch erfahrene Kollegen und Kolleginnen. So sind mir bei dieser Frage ziemlich direkt zwei Kolleginnen in den Sinn gekommen, die ich sehr für die Weise ihrer Arbeit und ihren Lebensweg bewundere!

Mit der ersten Kollegin hatte ich das Vergnügen, als sehr junge, unerfahrene Kopilotin zusammenarbeiten zu dürfen. In einem unserer gemeinsamen Flüge hatten wir irgendwo über dem Mittelmeer eine Situation, in der unser Turboprop-Flugzeug so viel Eis angesetzt hatte, dass wir unsere geplante Flughöhe nicht mehr halten konnten und in wärmere Luftschichten sinken mussten. Ich war diejenige, die den Flug durchführte, und trotz dieser abnormalen Situation und meiner Unerfahrenheit überließ meine Kapitänin mir weiter die Kontrolle des Flugzeugs, forderte mich auf, den Autopiloten auszuschalten und zu fühlen, wie sich das Flugzeug in der Kontrolle ,anfühle‘, und zu beurteilen, ob es durch den Eisansatz zu Kontrollveränderungen gekommen sei. Sie war dabei ruhig und professionell und verließ sich komplett auf meine Einschätzung. Nicht nur in diesem Flug gab ihre Art und Weise mir die Möglichkeit, wichtige Erfahrungen zu sammeln, zu lernen und persönlich zu wachsen. Ich hoffe, dass ich eines Tages genauso Kollegen fördern kann wie sie.

Eine  andere  Kollegin  inspiriert mich vor allem durch ihren Lebensweg. Ich denke, dass der Generation vor mir deutlich mehr Steine in den Weg gelegt worden sind. So war es der Traum dieser Kollegin, Pilotin zu werden, der jedoch damals (ich denke, das müsste wahrscheinlich vor 30 Jahren gewesen sein) abgewiesen wurde mit der Begründung, dass die Flugschule nur Männer ausbilden würde. Über Umwege hat sie sich schließlich den Traum vom Fliegen an einer privaten Flugschule erfüllt und ist eine derjenigen, die sich von keinem Mann anders behandeln lassen würde, als diese einen Mann behandeln würden. Ich denke, dass Kolleginnen wie sie den Grundstein dafür gelegt haben, dass ich mich heute als Pilotin gleichgestellt mit meinen männlichen Kollegen fühle. Frauen wie sie sind der Grund – wahrscheinlich, ohne dass es ihnen selber bewusst ist –, dass heute Frauen in meiner Position ernst genommen werden und sich nicht zu behaupten haben. Dies ist für mich wirklich inspirierend.

Was würden Sie Kolleginnen am Anfang ihrer Kar- riere mit auf den Weg geben?

Ich würde jungen Kolleginnen gerne mit auf den Weg geben, dass sie an sich und ihre Fähigkeiten glauben, ihre Träume verfolgen sollen, so unerreichbar diese auch erscheinen mögen, und sich nicht eines Besseren belehren lassen.

Ein Pilot durchlebt in seiner Ausbildung und Laufbahn oftmals unterschiedliche Phasen. So hat fast jeder Phasen, in denen zum Beispiel die Landungen nicht so gut funktionieren oder in denen man an sich selber zweifelt. Nun habe ich persönlich das Gefühl, dass es Frauen leichter fällt, über das zu reden, was dazu führen kann, dass man das Gefühl hat, dass es bei den anderen, meist männlichen Kollegen, besser läuft als bei einem selbst … Glauben Sie an sich! Nur weil der Kollege so auftritt, als würde er jeder Aufgabe gewachsen sein, muss dies noch lange nicht der Fall sein. Er hat ähnliche Problemen zu bewältigen, auch wenn er als der ,starke‘ Mann auftritt.

Des Weiteren liegt mir sehr am Herzen, dass sich Frauen gegenseitig fördern. Seien Sie füreinander da! Dies ist in meiner Branche zum Glück der Fall. Jedoch höre ich von einigen Freundinnen, die in anderen Berufsfeldern in führenden Positionen tätig sind, dass speziell Frauen sich gegenseitig als Konkurrenz betrachten … Ist das ihr Ernst? Sollten wir nicht stolz auf unsere Kollegin sein, wenn sie es schafft, in der Firma aufzusteigen, und sie dabei unterstützen? Warum legen wir uns gegenseitig Steine in den Weg? Ich hoffe, dass hier ein Umdenken stattfindet und Frauen sich gegenseitig fördern und stärken.

Welche positiven Eigenschaften besitzen Frauen am Arbeitsplatz, aus denen wir alle mehr machen sollten?

Ich denke, dass man hier nicht verallgemeinern sollte. Jede Frau und jeder Mann besitzen andere Eigenschaften. So denke ich, dass es sicherlich Eigenschaften gibt, die bei Frauen weiter verbreitet sind als bei Männern, jedoch gibt es sicherlich auch einige Männer, bei denen genau diese Eigenschaften mehr ausgeprägt sind als bei den meisten Frauen. Daher denke ich, dass man Eigenschaften nicht nach Geschlechtern trennen sollte, sondern jede Person als Individuum mit ihren persönlichen positiven Eigenschaften wahrnehmen sollte.

Warum, glauben Sie, reden wir immer noch über Geschlechterungleichheit bei der Arbeit? Und warum, glauben Sie, entwickelt das Thema heute eine solche Dynamik, vielleicht mehr als jemals zuvor?

Immer noch? Wir leben in einer ,modernen‘ Welt, in der fast jeder in der westlichen Welt an eine Gleichstellung der Geschlechter glaubt. Trotzdem spiegelt sich diese in der Arbeitswelt nicht wider. Es gibt immer noch deutlich weniger Frauen in Führungspositionen, Frauen, die bei gleicher Arbeit weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen, und deutlich weniger Frauen in der Politik. Und hierbei ist Deutschland im internationalen Vergleich eines der Vorzeigeländer … (dies schreibend sitze ich gerade in Mumbai, wo ich sehr gerne über Geschlechterungleichheit auf jeglicher Ebene diskutieren würde). Wenn es uns nicht gelingt, eine gerechte Arbeitswelt zu schaffen, wie können wir es von anderen verlangen? Ich hoffe sehr, dass das Thema Geschlechterungleichheit weit mehr Dynamik entwickelt, als dies zurzeit der Fall ist, und dass vor allem auch über Europas Grenzen hinaus sich in den kommenden Jahren einiges verändert. Und ja, es ist sehr wichtig, dies öffentlich zu diskutieren und auf die Missstände, wenn es sein muss, immer und immer wieder hinzuweisen.