Topthema: Pitchen, bis der Arzt kommt?

Es gibt Eventagenturen, die einen erheblichen Teil ihrer Arbeitszeit in Pitches stecken. In ihnen konkurrieren die Teilnehmer um den Etat eines Auftraggebers. Stunden, Tage, Wochen an Arbeitszeit und Kreativität im Wert von mehreren tausend Euro müsse ein Beraterteam oft in eine solche Bewerbung investieren, berichten viele Agenturen. Sie haben dann nur noch wenig Zeit für ihr eigentliches Kerngeschäft, die Kreation von Live-Kommunikation. Schlaue Köpfe in der Agenturbranche haben Ideen, wie der „Pitch-Idiotie“ zu entrinnen ist.

Henry Waltz ist gut im Geschäft mit Events. Der Porsche AG und deren neuen Kompakt-SUV Macan hat seine Agentur Gecko Promotions bei der Markteinführung mitgeholfen. Auch bei Events anderer Luxus-Marken hat Waltz oft im Wettbewerb die Nase vorn, auch und gerade wenn es um sein touristisches Portfolio geht. Hat er es dennoch nötig, an Pitches teilzunehmen? „Es wäre vermessen, nicht mitzumachen“, sagt er ehrlich.
Gar nicht zu pitchen – das kann sich keiner leisten, sagt Claus Lipowsky. Er ist ein guter Kenner der Agenturszene. Jahrelang war er selbst Chef einer Event-Agentur und ist jetzt Geschäftsführender Gesellschafter der Werbeagentur Blue Green. Zu dem Hauptgrund, weswegen er aus dem Event-Geschäft ausgestiegen ist, sagt er: „Wer nur Live-Kommunikation macht, der muss pitchen, bis der Arzt kommt.“
Jeder weiß, was die Agenturbranche schon seit Jahren in die Verzweiflung treibt und kaum einer traut sich, darüber zu sprechen. „Pitch-Wahn“ nennen es die einen, Verzetteln mit den Ausschreibungen die anderen, gemeint ist immer das Gleiche: Mehr Arbeitszeit mit der Vorbereitung von Pitches verschwenden müssen, anstatt sich ihres Kerngeschäfts widmen zu können: Events kreieren und sie dann auch wie selbstverständlich auszuführen, gegen gutes Geld, versteht sich. Doch davon ist die Branche noch weit, weit entfernt.

Henry Waltz und seine Gecko-Promotions ist eher eine Ausnahmeerscheinung, weil es ihm und seiner Event-Agentur richtig gut geht. Wenn seine Kreativen mehr als einen Tag brauchen und auch der Aufwand für eine Wettbewerbspräsentation mehrere Tage übersteigt, dann stellt er die Lohnkosten in Rechnung. „Wir sagen den Kunden das und auch den Aufwand in Heller und Pfennig dafür – vorher. Und unsere seriösen Kunden machen das auch mit.“ Allerdings könne er mit der Angebotserstellung und dem Pitchen kein Geld verdienen – aber immerhin seine Kosten decken. Die meisten Eventagenturen arbeiten so nicht. Weil sie es nicht können. „Es gibt einfach nicht so viele seriöse Kunden, die für einen Pitch wenigstens eine Art Schutzgebühr bezahlen“, sagt Claus Lipowsky.

Aber es gibt Branchen, die professionell mit den Eventagenturen umgehen. Besonders die Pharmabranche hege ihre Agenturen – und zahle für aufwändige Events auch ordentliches Geld. Denn die Medikamentenhersteller haben hierzulande das Problem, von Gesetzes wegen für genau das überhaupt nicht werben zu dürfen, mit dem sie das meiste Geld verdient: mit rezeptpflichtigen Medikamenten. Alles, was der Doktor verschreiben muss, bevor der Apotheker es aushändigen darf, unterliegt einem Werbeverbot. Nur in Fachzeitschriften für Ärzte und Pharmazeuten dürfen Anzeigen für rezeptpflichtige Pillen und Cremes überhaupt geschaltet werden. Kein Wunder also, dass die Pharmabranche viel Geld dafür ausgibt, die Doktores auch mit Live-Kommunikation vom Segen ihrer Produkte zu überzeugen.
Zwar hat sich die Pharma-Branche mit dem so genannten Pharma-Kodex selbst verpflichtet, von luxuriösen Incentives namens Ärztefortbildung abzusehen. Dennoch bleibt die Pharmaindustrie mit ihren Kongressen ein wichtiger Auftraggeber für viele Eventagenturen. Die Pillen- Salben- und Tropfenhersteller sind für sie das Brot- und Buttergeschäft mit nicht zu hohem Aufwand bei ordentlichen Erträgen.

Dass die Autoindustrie viel für Live-Kommunikation ausgibt, liegt auf der Hand. Das Auto ist des Deutschen liebstes Kind und ein hoch emotionales Produkt, deren Marken vom Händler genauso wie vom Endkunden erlebt werden wollen. Offenbar gebärdet sich der Goliath Automotive-Industrie zum David Event-Agenturen nicht gerade fair, hat eine Blitzumfrage unter FAMAB-Mitgliedern ergeben. Die Umfrage ergab außerdem: rund 45 Prozent der Teilnehmer wurde schon zu einem kostenfreien Pitch aufgefordert. 44 Prozent sind der Meinung, dass sich die Pitchsituation in den letzten drei Jahren verschlechtert hat, 42 Prozent sind der Meinung, die Situation sei unverändert. Die gleiche Tendenz ist auch bei der Einschätzung für die Zukunft erkennbar: ca. 40 Prozent meinen, die Situation bleibe gleich und ca. 35 Prozent erwarten eine Verschlimmerung.

Laut dem Beratungsunternehmen Cherrypicker wird im Schnitt nur die Hälfte aller Wettbewerbspräsentationen bezahlt. Die Berater geben Empfehlungen für die Zahlungen bei Wettbewerbspräsentationen ab. Im Vergleich zu 2011 gibt es marginale Veränderungen: Für eine kleine Pitchaufgabe sollte ein Kunde demzufolge mindestens 3.000 Euro an die eingeladenen Agenturen zahlen, für eine mittlere Pitchaufgabe 6.000 bis 8.000 Euro, für eine umfangreiche 9.000 bis 16.000 Euro und für eine komplexe internationale Aufgabe 18.000 bis 30.000 Euro.

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Colja Dams, Chef der größten deutschen Eventagentur Vok Dams, Foto: Vok Dams.

Die Wuppertaler Vok Dams Gruppe ist im Ranking der Eventagenturen in Deutschland der Fachzeitschrift „W&V“ mit einem Honorarumsatz von 20,61 Millionen Euro Branchenprimus. Auch für Colja Dams, Chef der global agierenden Agentur, gehört es nicht zu den Lieblingsaufgaben, an Pitches teilzunehmen. „Keine Agentur liebt es, in Pitches zu gehen. Aber die Eventbranche wird sich auch in Zukunft dem Wettbewerb stellen müssen“, sagt er. „Entscheidend ist, dass der Pitch fair durchgeführt wird. Hier ist jede Agentur aufgerufen, Kriterien zu entwickeln, unter welchen Bedingungen sie an einem Pitch teilnimmt oder nicht.“ Eine Hilfestellung könne hier der FAMAB – Verband Direkte Wirtschaftskommunikation – geben. Colja Dams: „Werden diese Kriterien konsequent umgesetzt, dann wird man dem Pitchwahn auf einen natürlichen Wettbewerb zurückführen können.“

Das sieht Uta Goretzky, langjährige und erfahrene Pressesprecherin des FAMAB genauso. Sie kennt die Agenturszene wie kaum ein Zweiter. Sie berichtet von einer Entwicklung in größeren Unternehmen, die viele Agenturinhaber in Existenzängste versetzt: die Einkaufsabteilungen zwingen die Fachabteilungen zu Pitches, um Live-Kommunikation billiger zu bekommen. „Die meisten Fachabteilungen in den Unternehmen schlagen deswegen die Hände über dem Kopf zusammen – aber sie dürfen nicht anders. Denn eine Eventagentur, mit der das Unternehmen schon lange und gut zusammen gearbeitet hat, kennt das Unternehmen und die Anforderungen. „Die Fachabteilungen müssen diesen Pitch-Wahn ausbügeln“, sagt Goretzky, „sie müssen jedes Mal aufwändig Briefen und viel mehr Zeit für Kontrollen opfern, damit nichts schief läuft.“

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Uta Goretzky vom FAMAB-Verband Direkte Wirtschaftkommunikation, Foto: FAMAB e.V.

Die FAMAB-Sprecherin beschwört oft Agenturen, sich keinesfalls nur als operativer Einmal-Organisator zu präsentieren, sondern als Berater. Und: Jede Agentur sollte versuchen, einen USP (Unique Selling Proposition), also ein Alleinstellungsmerkmal, herauszuarbeiten. „Wer sich keine Spezialisierung erarbeitet, macht etwas falsch“, sagt Goretzky. „Wer nach außen kommuniziert, er kann alles und für jede Branche arbeiten, wird nicht ernst genommen und erhält keine attraktiven Aufträge.“
Die FAMAB-Sprecherin rät den Agenturen, die ihre Ansprechpartner in den Fachabteilungen von größeren Unternehmen kennen, mit diesen zu sprechen: Bei Pitches sollten Fachabteilung und Einkaufsabteilung in einem Boot sitzen. Goretzky: „Nur dann gibt es Kontinuität, nur dann läuft eine gute Zusammenarbeit über mehrere Jahre. Sie berichtet von großen Autoherstellern, die bei Einführung neuer Modelle in China immer drei Lieblingsagenturen dabei haben. „Die Fachabteilungen sind sehr daran interessiert, feste Ansprechpartner zu haben.“ Ein guter Weg für Agenturen sei es, wenn sie längere Verträge mit ihren Auftraggebern aushandeln könnten. Dann sei die Zusammenarbeit nicht immer nach einem Projekt beendet, sondern laufe für zwei bis drei Jahre.

Von Thomas Grether

Am Pitch-Wahn ist die Agenturbranche selbst schuld: Eine Kammer muss her

Ein Gastbeitrag von Dominik Deubner

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Dominik Deubner, Foto: DOMSET.

28 Prozent aller Unternehmen würden nie ein Pitchhonorar zahlen, so die Ergebnisse einer zu Jahresbeginn veröffentlichten Studie der Unternehmensberatung Inverto. Eine Untersuchung zur Pitchkultur im deutschen Messebaumarkt von Fairconcept aus 2012 belegt mit harten Fakten, dass nicht nur die Zahl der Einladungen zu Wettbewerbspräsentationen in den vergangenen Jahren stark zugenommen hat. 40 Prozent aller Briefings sind aus Sicht der Messebauer „mangelhaft“ oder „ausreichend“. − So weit nichts Neues.

Das Thema Pitchetiquette ist ein Dauerbrenner. Seit eh und je setzt sich die Branche mit der Thematik auseinander. Im Jahr 2008 etwa gab der FAMAB den viel beachteten, aber zu keiner Zeit wirkungsvollen Qualitätskodex heraus, der die Mitgliedsagenturen des Verbandes per Selbstverpflichtung zur Einforderung eines Pitchhonorars verpflichtete. Eine − wie sich schnell herausstellten sollte − stumpfe Waffe im Marktdiktat der Wettbewerbskonditionen.

Doch alles Jammern und Klammern hat keinen Zweck, solange auf der Anklagebank der Falsche sitzt. Stets wird der ach so böse Einkäufer auf Kundenseite zum Buhmann erklärt, wird die grassierende Compliance-Debatte als Angsttreiber durch die Branche gescheucht. Dabei ist die stetige Optimierung von Einkaufsprozessen nur die Konsequenz eines nicht aufzuhaltenden Drangs nach Effizienzsteigerung in einer Wettbewerbsgesellschaft.

Agenturen und Dienstleistungsgewerke der Eventbranche arbeiten überwiegend mit einer Vertriebsstruktur von vorgestern, die den Anschluss an die professionalisierten Prozesse auf Unternehmensseite verpasst haben. Die Eventbranche hat es vor 30 Jahren in ihrer Geburtsstunde versäumt, sich eine professionelle Struktur und Regeln zu verordnen, die ein selbstbewusstes Standing und einen Dialog auf Augenhöhe mit den Kunden ermöglichen – jetzt kommt die Rechnung auf den Tisch.

Das fängt bei der Ausbildung an. Solange sich jeder DJ Eventmanager nennen darf und nicht selten unter Missachtung jeglicher Standards und rechtlicher Bestimmungen grob fahrlässig sein „Handwerk“ ausübt, werden sich Katastrophen wie bei der Loveparade ereignen. Solange selbst in vermeintlich „professionellen“ Veranstaltungsstätten wie Hotels und Eventlocations grundlegende Bestimmungen der Versammlungsstättenverordnung durch ungeschultes Personal ungläubiges Staunen hervorrufen, solange im Catering ein „Frikadellenschein“ ausreicht, um Tausende von Eventbesuchern zu verköstigen, solange…
Diese Liste lässt sich beliebig fortsetzen.Eine Branche ohne geschützte Berufsbezeichnung, ohne von Kunden wie Anbietern anerkannte Vergütungsverordnung, ohne eine die Interessen und Belange dieser komplexen Branche vertretende Berufskammer wird auch weiterhin zu Recht an der Hintertür des Marketings empfangen. Architekten, Anwälte und Ärzte haben es uns vorgemacht − im Übrigen allesamt auch „freie Berufe“ mit ähnlicher Komplexität: Ein Architekt, der kein Kammermitglied ist, darf keine Baugenehmigung einreichen. Ein Anwalt ohne Kammerzugehörigkeit darf nicht vor Gericht sprechen. Ein Arzt ohne Zulassung kann nicht mit der Kasse abrechnen. Diese Beispiele zeigen: Es ist so einfach!

Nur, dass wir uns nicht falsch verstehen: Bürokratie wird das aktuelle Problem der Branche nicht lösen. Fairness, Transparenz und Wertschätzung müssen in jedem Ausschreibungsprozess selbstverständliche Tugenden einer für alle Akteure geltenden Etiquette des Zusammenarbeitens bleiben oder werden.

Doch wie so häufig kann ein erhobener Zeigefinger keine Besserung bewirken. Wenn sich die Branche nicht selbst ins Bewusstsein ruft, dass sie nur im Miteinander nachhaltig Erfolg haben kann, wird sich nichts verändern. Welche Auswirkungen unser Handeln auf unsere Branche hat, erfahren wir aber nur im offenen Dialog auf Augenhöhe. Zu diesem lädt am 7. Und 8. Juli 08. Juli der „MICE Club LIVE“ ein. Ziel des interaktiven Branchenevents ist es, basierend auf einer von Anbietern und Veranstaltungsplanern gemeinsam durchgeführten Bestandsaufnahme Visionen und mögliche Szenarien für ein neues Miteinander zu entwickeln. Dabei stehen die Erarbeitung praktischer Entscheidungshilfen und der Austausch erfolgreicher Best-Practice-Werkzeuge im Fokus der zweitägigen Veranstaltung.

Gastautor Dominik Deubner ist Inhaber der Agentur Domset-Live-Kommunikation und Initiator des MICE-Clubs. Artikel von Gastautoren geben nicht zwingend die Meinung der Redaktion wider.