Deep Tech-Innovatoren aus Lettland im Gespräch: Girts Smelters von Exponentional Technologies (xT)

Latvia
Girts Smelters from Exponential Technologies (xT). Images: LIAA

Im Gespräch mit „Deep Tech“ -Innovatoren in Lettland: Girts Smelters von Exponential Technologies (xT)erklärt, was multi-objective optimization und das Rezept für den perfekten Pfannkuchen verbindet.

Hei Girts, kannst Du bitte einem Amateur erklären, welche Art von Deep-Tech-Produkt Ihr anbietet und wofür es verwendet werden kann?

Gerne kann ich das: xT ist ein Start-up in der Wachstumsphase, das Mitte 2019 gegründet wurde. Unser Kerngeschäft ist die Bereitstellung einer Plattform für künstliche Intelligenz (KI) und eines Management Systems für Forschung, mithilfe dessen z.B. Industriechemiker, Biologen und Ingenieure Prozess- / Maschinenparameter, Materialzusammensetzung und viele andere Parametertypen finden und optimieren können. Wir sind drei Gründer, Pavel, Matthias und ich, und wir haben ein starkes und wachsendes Team mit Büros in Riga und Rezekne.

Bei xT geht es darum, die richtigen Rezepte für eine breite Palette von Aufgaben bei industrieller Innovation zu finden. Die Analogie über das Backen von optimalen Pfannkuchen kann das für Laien besser verdeutlichen:

Nehmen wir an, Du möchtest ein Fast-Food-Pfannkuchen-Restaurant eröffnen und musst jetzt das perfekte Pfannkuchen-Rezept finden – eines, das unwiderstehlich lecker, einfach zu mischen, schnell herzustellen und mit nicht zu teuren Zutaten zu machen ist. Zuerst musst Du ein optimales Verhältnis von Backpulver, Salz, Zucker usw. finden. Dann die richtige Reihenfolge, in der alles gemischt wird, und anschließend müssen die weiteren Prozessparameter ermittelt werden wie Backtemperatur und –dauer oder die am besten geeignete Pfanne. All das muss gleichzeitig durchgetestet und dabei so wenig Geld wie möglich ausgegeben werden.

Jeder erfahrene Koch probiert jetzt aus, indem er ein Grundrezept nimmt und dann jeweils ein oder zwei Parameter gleichzeitig ändert – etwas mehr Zucker, etwas höhere Temperatur und so weiter und schaut, was jeweils dabei herauskommt. Solange bis er das optimale Rezept gefunden hat. Deshalb dauert es manchmal lange, bis die wirklich beste Kombination entdeckt  wird.

Unsere KI-Plattform kann diese Zeit erheblich verkürzen und viele teure Ressourcen einsparen, weil sie ungleich schneller die optimale Lösung findet und somit den Restaurantbesitzer für andere wichtige Aufgaben freistellt. Unsere KI-Lösung lernt ausgehend vom Grundrezept und generiert Optimierungsvorschläge. Deren Ergebnisse werden als Feedback zu Geschmack, Leistung und Kosten wieder ins System zurückgeführt. Dieser Prozess wird solange durchgeführt bis das gewünschte Ergebnis gefunden ist – das Ganze nennt man dann multi-objective optimization (Optimierung, die auf multiplen Kriterien beruht).  Das Pfannkuchen Beispiel ist natürlich eine starke Vereinfachung, aber sobald es um Industrielle Mixturen und Prozesse oder die Herstellung von Medikamenten (wie Impfstoffe gegen COVID19) geht, werden die Inhaltsstoffe und Prozesse sehr komplex.

Mit Hilfe unserer AI-Lösung xT_smart_DoE kann die Auswahl und Produktionsskalierung für die Herstellung von Impfstoff- und Antikörpertestkits massiv beschleunigt werden. Dies würde die Markteinführungszeit für COVID-19-Impfstoffe um mehrere Monate verkürzen und somit Zehntausende von Menschenleben retten. Wir verhandeln bereits über eine mögliche Zusammenarbeit mit einigen der globalen Impfstoffhersteller.

Lettland
Beispiel für ein biologisches Prozessoptimierungsexperiment, bei dem sowohl die Zielproteinausbeute als auch die Gesamtbiomasse gleichzeitig maximiert werden.

Derzeit konzentrieren wir uns auf Anwendungen in Biotechnologie, Chemie und Advanced Manufacturing (einer unserer Industrie Partner ist die deutsche Evonik Industries AG, special chemicals company).  Viele Anwendungsmöglichkeiten gibt es in der pharmazeutischen und chemischen Produktion, aber auch für die Herstellung von nachhaltigen Lebensmitteln und Getränken (wie sog. Laborfleisch oder in-Vitro Herstellung von künstlichem Fleisch), Biokosmetik, intelligenten Materialien, neuartigen Verbundwerkstoffen, Legierungen und so weiter.  Der Kern der xT Plattform sind KI-Algorithmen (Künstliche Intelligenz), die wir selbst entwickelt haben. Die Anwendung wird jedoch auf jeden Kunden und seine speziellen Anforderungen zugeschnitten und bietet ein umfassendes Managementsystem für Teams von Industrieforschern und Ingenieuren, um gemeinsam Innovationen zu entwickeln.  Unser Geschäftsmodell ist SaaS basiert(Software as a Service) in der Cloud oder kann als On-Premise-Lösung bereitgestellt werden – da die industrielle Produktion häufig sehr sensible Daten umfasst und daher offline gehalten werden muss. Wir sind der Ansicht, dass der Zugang zu Innovation für jeden Interessenten verfügbar sein sollte und daher gestalten wir unser Produkt so benutzerfreundlich wie möglich.

Girts, wie generiert Ihr potenzielle Kunden für Euer xT-Geschäft?

Erst einmal nehmen wir sehr aktiv an Konferenzen, Ausstellungen und allen verfügbaren Plattformen teil und nutzen jede Gelegenheit zum Networking, die sich uns bietet. xT ist z.B. Teil der lettischen Delegation in der neuen community platform Node by Slush, der kürzlich gestarteten virtuellen Start-up-Community von Slush. Wir werden von Oktober bis Dezember dieses Jahres dort sein, hier ist der link zur Delegation.

Darüber hinaus nehmen wir aktiv an vielen Hackathons teil. Wir von xT  haben kürzlich zusammen mit einem Team internationaler Wissenschaftler die Forschungskategorie Gesundheit + Leben des von der Europäischen Kommission organisierten EUvsVirus-Hackathons* gewonnen. Insgesamt gab es über 20 000 Teilnehmer an dem Wettbewerb und es wurden über 2 100 Projekte eingereicht.

Wir haben dafür hier in Lettland viel Berichterstattung in den lokalen Medien über diesen erfolgreichen Hackathon bekommen! Die Teilnahme an Hackathons ist zugleich auch eine tolle Möglichkeit zum Netzwerken und um internationale Bekanntheit und Anerkennung zu erlangen.

* (Bei einem Hackathon bilden sich Teams, um innerhalb von 48 Stunden an einer Lösung für ein bestimmtes Problem zu arbeiten. Der so gefundene Ansatz wird dann Investoren und Unternehmen vorgestellt, die auf der Suche nach diesen speziellen Lösungen sind)

Findet Ihr denn Eure Kunden auch direkt in Lettland? Wie hilft lokale PR (wie der Gewinn des EUvsVirus-Hackathons) dem Business?

Unsere Zielgruppe kommt normalerweise nicht aus Lettland. Wir haben aber auch noch andere Herausforderungen zu bewältigen, nämlich hochqualifiziertes Talent zu gewinnen. Aufgrund des aktiven Start-up-Ökosystems in Lettland gibt es einen „Wettlauf um Talente“ und man muss es als Firma so aufregend und attraktiv zu sein, damit jeder gerne bei uns arbeiten möchte! Nur so können wir ein leistungsstarkes Team und zukünftiges Wachstum sichern! Lokale PR hilft hier definitiv sehr bei diesem „Rennen“

Wo sind Eure Kunden dann?

 Eigentlich in allen großen Volkswirtschaften – Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Spanien, aber auch die USA, der Nahe Osten und vor kurzem haben wir sogar begonnen, den indischen Markt zu erkunden.  Lettland hat durch LIAA und durch einen systematischen Ansatz eine starke Position für die regionale Deep-Tech-Szene aufgebaut und investiert viel in die frühen Phasen der Entstehung von Projekten. Das schafft günstige Voraussetzungen, damit Startups hier entstehen und wachsen können. Das Scale-up benötigt jedoch auch die Nähe zu großen Industrieunternehmen, um Pilotprojekte durchzuführen und die Technologie genehmigen zu lassen.  Girts, um Tagungs- und Kongressdestinationen zu fördern, präsentieren wir dort vorhandenes Wissen und Innovation für eine neue Art von Kontext und Relevanz für die Tagungsmärkte. Ergibt das Sinn für dich? Ja, das macht in der Tat sehr viel Sinn. Zum Beispiel habe ich den Smart City Expo World Congress 2019 in Barcelona besucht und war beeindruckt von den dort angebotenen Möglichkeiten, relevante Organisationen zu treffen, sich mit ihnen zu vernetzen und sie zu besuchen. Ich finde diesen Ansatz sehr inspirierend und er hilft sehr, sich viel stärker an einen Ort zu binden, einen Mehrwert für die Kongressteilnehmer und Besucher zu schaffen und darüber hinaus die Networking-Möglichkeiten für beide Seiten zu erweitern.  Meinerseits würde ich mich freuen, Unternehmen oder Kongressdelegierte zu treffen, die nach Lettland kommen und mehr über unsere Aktivitäten bei xT erfahren möchten! In Lettland haben wir kleine, aber viele sehr geschickte Teams, die sich absolut auf gleicher Ebene mit weltweit führenden Unternehmen in Bereichen wie Biomedizin, intelligente Materialien und IKT (Informations- und Kommunikationstechnologie) behaupten und messen können.  Danke, Girts, das war sehr interessant und es hilft zu verstehen, worum es bei xT geht!

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